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Die Serapionsbrüder

Szenen nach E.T.A. Hoffmann

 

 

 

 

 

 

2. Szene

 

Cyprian: Ihr wisst, dass ich mich vor mehreren Jahren einige Zeit hindurch in Bamberg aufhielt, einem Orte, (zeigt geheimnisvoll in Richtung Tür, wo in der rechten Ecke des Raumes zwischen Tür und Fenster ein Podest erkennbar wird) der bekanntlich in der anmutigsten Gegend des südlichen Deutschlands gelegen ist. Nach meiner Weise pflegte ich allein ohne Wegweiser, dessen ich wohl bedurft, weite Spaziergänge zu wagen, und so geschah es, dass ich eines Tages in einen dichten Wald geriet und, je emsiger ich zuletzt Weg und Steg suchte, desto mehr jede Spur eines menschlichen Fußtritts verlor. Endlich wurde der Wald etwas lichter, da gewahrte ich unfern vor mir einen Mann mit brauner Einsiedlerkutte, (Serapion tritt aus der Kulisse aufs Podest) einen breiten Strohhut auf dem Kopf, mit langem schwarzem, verwildertem Bart, der dicht an einer Bergschlucht auf einem Felsstück saß (Serapion setzt sich nieder) und, die Hände gefaltet (Serapion faltet die Hände), gedankenvoll in die Ferne schaute. Die ganze Erscheinung hatte etwas Fremdartiges, Seltsames, ich fühlte leise Schauer mich durchgleiten. Solchen Gefühls kann man sich auch wohl kaum erwehren, wenn das, was man nur auf Bildern sah oder nur aus Büchern kannte, plötzlich ins wirkliche Leben tritt. Da saß nun der Einsiedler aus der alten Zeit des Christentums in Salvator Rosas wildem Gebirge lebendig mir vor Augen.

 

Lothar: Lebendig? Aus der alten Zeit des Christentums?

 

Cyprian: Lebendig! Ich besann mich bald, dass ein ambulierender Mönch wohl eben nichts Ungewöhnliches in diesen Gegenden sei, und trat keck auf den Mann zu (begibt sich auf das Podest, tritt zu Serapion) mit der Frage, wie ich mich wohl am leichtesten aus dem Walde herausfinden könne, um nach Bamberg zurückzukehren. Er maß mich mit finsterem Blick und sprach dann mit dumpfer feierlicher Stimme:

 

Serapion: Du handelst sehr leichtsinnig und unbesonnen, dass du mich in dem Gespräch, das ich mit den würdigen Männern, die um mich versammelt, führe, mit einer einfältigen Frage unterbrichst! Ich weiß es wohl, dass bloß die Neugierde, mich zu sehen und mich sprechen zu hören, dich in diese Wüste trieb, aber du siehst, dass ich jetzt keine Zeit habe, mit dir zu reden. Mein Freund Ambrosius von Kamaldoli kehrt nach Alexandrien zurück, ziehe mit ihm. (steht auf und geht ab)

 

Cyprian: Damit stand der Mann auf und stieg hinab in die Bergschlucht. Mir war, als lag ich im Traum. (tritt zurück zu seinem Sessel, nimmt einen Schluck) Ganz in der Nähe hört ich das Geräusch eines Fuhrwerks, ich arbeitete mich durchs Gebüsch, stand bald auf einem Holzwege und sah vor mir einen Bauer, der auf einem zweirädrigen Karren daherfuhr, und den ich schnell ereilte. Er brachte mich bald auf den großen Weg nach Bamberg. Ich erzählte ihm unterwegs mein Abenteuer und fragte ihn, wer wohl der wunderliche Mann im Walde sei. ‚Ach lieber Herr’, erwiderte der Bauer, ‚das ist der würdige Mann, der sich Priester Serapion nennt und schon seit vielen Jahren im Walde eine kleine Hütte bewohnt, die er sich selbst erbaut hat. Die Leute sagen, er sei nicht recht richtig im Kopfe, aber er ist ein lieber frommer Herr, der niemanden etwas zuleide tut und der uns im Dorfe mit andächtigen Reden recht erbaut und uns guten Rat erteilt, wie er nur kann.’

 

Ottmar: Rührend, rührend! Erzähl!

 

Lothar: Was hatte es auf sich mit diesem Priester Serapion?

 

Cyprian: Ich hatte ihn kaum zwei Stunden von Bamberg angetroffen, also musste man hier auch mehr von ihm wissen! Und so war es auch wirklich der Fall! Doktor Schmidt erzählte mir alles. Erstaunliche Geschichte!

 

Theodor: Und zwar?

 

Cyprian: Unfassbar! Dieser Einsiedler war einer der geistreichsten, vielseitig ausgebildetsten Köpfe, die es gab. Hinzu kam, dass er aus glänzender Familie entsprossen, so könnt' es nicht fehlen, dass man ihn, kaum hatte er seine Studien vollendet, in ein bedeutendes diplomatisches Geschäft zog, dem er mit Treue und Eifer vorstand. Mit seinen Kenntnissen verband er ein ausgezeichnetes Dichtertalent! Alles, was er schrieb, war von einer feurigen Phantasie, von einem besondern Geiste, der in die tiefste Tiefe schaute, unendlich beseelt. Sein unübertrefflicher Humor machte ihn zum angenehmsten, seine Gemütlichkeit zum liebenswürdigsten Gesellschafter, den es nur geben konnte. Von Stufe zu Stufe gestiegen, hatte man ihn eben zu einem wichtigen Gesandtschaftsposten bestimmt, als er auf unbegreifliche Weise verschwand.

 

Theodor: Ach!?

 

Lothar: Verschwand?

 

Cyprian: Alle Nachforschungen blieben vergebens.

 

Ottmar: Ich denk, er war im Wald?

 

Cyprian: Was bist du ungeduldig! Zunächst einmal scheiterte jede Vermutung an diesem, jenem Umstand. Nach einiger Zeit aber erschien im tiefen Tirolergebirge ein Mensch, der, in eine braune Kutte gehüllt, in den Dörfern predigte und sich dann in den wildesten Wald zurückzog, wo er einsiedlerisch lebte. Der Zufall wollte es, dass Graf Paul diesen Menschen, der sich für den Priester Serapion ausgab, zu Gesicht bekam. Er erkannte augenblicklich in ihm seinen verschwundenen Neffen. Man bemächtigte sich seiner, er wurde rasend, und alle Kunst der berühmtesten Ärzte vermochte nichts in dem fürchterlichen Zustande des Unglücklichen zu ändern. Man brachte ihn nach Bamberg in die Irrenanstalt, und hier gelang es wirklich dem auf tiefe psychische Kenntnis gegründeten Verfahren des Arztes, der damals dieser Anstalt vorstand, den Unglücklichen wenigstens aus der Tobsucht zu retten, in die er verfallen war.

 

Ottmar: Das wird ja immer phantastischer!

 

Cyprian: Unterbrich mich doch nicht!

 

Ottmar: Entschuldige!

 

Cyprian: Jetzt habe ich, wo war ich stehen geblieben?

 

Lothar: Bei der Tobsucht!

 

Cyprian: Bei dem Arzt! Wahrscheinlich, dass er seiner Theorie getreu dem Wahnsinnigen selbst Gelegenheit gab zu entwischen...

 

Ottmar: Aha!!

 

Cyprian (ungehalten): ...oder dass dieser selbst die Mittel dazu fand!

 

Lothar: Wirklich äußerst geheimnisvoll!

 

Theodor: Nun lasst ihn doch zu Ende kommen!

 

Lothar: Er war entwischt! Toll! Und nun?

 

Cyprian: Eine geraume Zeit hindurch blieb er verborgen. Endlich erschien Serapion in dem Walde zwei Stunden von Bamberg. Und jener Arzt erklärte, habe man wirkliches Mitleid mit dem Unglücklichen, dürfe man ihn nicht aufs neue in Wut und Raserei stürzen!

 

Lothar: Verstehe!

 

Cyprian: Wolle man ihn ruhig und nach seiner Art glücklich sehen, müsse man ihn im Walde und bei vollkommener Freiheit lassen, nach Willkür zu schalten und zu walten.

 

Ottmar: Aha! Keine Polizei!

 

Cyprian: Der bewährte Ruf des Arztes drang durch, die Polizeibehörde begnügte sich damit, den nächsten Dorfgerichten die entfernte unmerkliche Aufsicht über den Unglücklichen zu übertragen, und der Erfolg bestätigte, was der Arzt vorhergesagt. Serapion baute sich eine niedliche, ja nach den Umständen bequeme Hütte, er verfertigte sich Tisch und Stuhl, er flocht sich Binsenmatten zum Lager, er legte ein kleines Gärtlein an, in dem er Gemüse und Blumen anpflanzte. Bis auf die Idee, dass er der Einsiedler Serapion sei, der unter dem Kaiser Dezius in die Thebaische Wüste floh und in Alexandrien den Märtyrertod litt, und was aus dieser folgte, schien sein Geist gar nicht zerrüttet. Er war imstande, die geistreichsten Gespräche zu führen, ja nicht selten traten Spuren jenes scharfen Humors, ja wohl jener Gemütlichkeit hervor, die sonst seine Unterhaltung belebten. Im Übrigen erklärte ihn jener Arzt für gänzlich unheilbar und widerriet auf das ernstlichste jeden Versuch, ihn für die Welt und für seine vorigen Verhältnisse wiederzugewinnen.

 

Theodor: Schaurig, schaurig!

 

Cyprian: Ihr könnt euch wohl vorstellen, dass dieser Einsiedler mir nun nicht aus Sinn und Gedanken kam. Ich empfand eine unwiderstehliche Sehnsucht, ihn wiederzusehen.

 

Ottmar: Wär’ mir auch so ergangen!

 

Lothar: Wiedersehen? Wozu?

 

Cyprian: Ha, denkt euch meine Albernheit! Ich hatte nichts Geringeres im Sinn, als Serapions fixe Idee an der Wurzel anzugreifen!

 

Lothar: Ach du ahnst es nicht!

 

Cyprian: Ich las alle möglichen Bücher über den Wahnsinn, die mir nur zur Hand kamen. Ich glaubte, mir, dem fremden Psychologen, dem ärztlichen Laien, sei es vielleicht vorbehalten, in Serapions verfinsterten Geist einen Lichtstrahl zu werfen. Ich unterließ nicht, außer jenem Studium des Wahnsinns mich mit sämtlichen Serapions bekannt zu machen, deren es in der Geschichte der Heiligen und Märtyrer nicht weniger als acht gibt.

 

Lothar: Na feierlich!

 

Theodor: Lass ihn berichten!

 

Cyprian: So gerüstet suchte ich an einem schönen hellen Morgen meinen Einsiedler auf. Ich fand ihn in seinem Gärtlein mit Hacke und Spaten arbeitend und ein andächtiges Lied singend. (Serapion erscheint, leise andächtig singend, Futter streuend) Wilde Tauben, denen er reichliches Futter hingestreut, flatterten und schwirrten um ihn her, und ein junges Reh guckte neugierig durch die Blätter des Spaliers. So schien er mit den Tieren des Waldes in vollkommener Eintracht zu leben. Keine Spur des Wahnsinns war in seinem Gesicht zu finden, dessen milde Züge von seltener Ruhe und Heiterkeit zeugten. Auf diese Weise bestätigte sich, was mir Doktor Schmidt gesagt hatte. Als er meinen Entschluss, den Einsiedler zu besuchen, erfuhr, riet er mir nämlich, einen heitern Morgen zu wählen, weil Serapion dann am freisten im Geiste und aufgelegt sei, sich mit Fremden zu unterhalten, wogegen er abends alle menschliche Gesellschaft flöhe.

 

Lothar: Du bist da wirklich hin?

 

Cyprian: Ja doch! Als Serapion mich gewahr wurde, ließ er den Spaten sinken und kam mir freundlich entgegen. (betritt das Podest, Serapion merkt auf) Ich sagte, dass ich, auf weitem Wege ermüdet, mich nur einige Augenblicke bei ihm auszuruhen wünsche.

 

Serapion: Seid mir herzlich willkommen. Das wenige, womit ich Euch erquicken kann, steht Euch zu Diensten.

 

Cyprian: Damit führte er mich zu einem Moossitz vor seiner Hütte, (Serapion führt ihn zu einem Sitz, holt einen Tisch heran) rückte einen kleinen Tisch heraus, trug Brot, köstliche Trauben und eine Kanne Wein auf (Serapion trägt Brot und Wein auf) und lud mich gastlich ein, zu essen und zu trinken, indem er sich mir gegenüber auf einen Schemel setzte (Serapion setzt sich) und mit vielem Appetit Brot genoss und einen großen Becher Wein dazu leerte. In der Tat wusste ich gar nicht, wie ich ein Gespräch anknüpfen, wie ich meine psychologische Weisheit an dem ruhigen heitern Mann versuchen sollte.

 

Ottmar: Ja, wie geht man ran an so einen Heiligen?

 

Lothar: Ich würde erst mal auf den Busch klopfen! Ich würde sagen: ‚Sie nennen sich Serapion, ehrwürdiger Herr?’

 

Cyprian: Genau! Und wisst Ihr, was er erwiderte?

 

Serapion: Die Kirche gab mir diesen Namen!

 

Lothar: Ein Wahnsinniger! Und was sagtest du?

 

Cyprian: Die ältere Kirchengeschichte nennt mehrere heilige berühmte Männer dieses Namens. Einen Abt Serapion, der sich durch sein Wohltun auszeichnete, den gelehrten Bischof Serapion, dessen Hieronymus in seinem Buche 'de viris illustribus' gedenkt. Auch gab es einen Mönch Serapion. Dieser befahl, als er einst aus der Thebaischen Wüste nach Rom kam, einer Jungfrau, die sich zu ihm gesellte, vorgebend, sie habe der Welt entsagt und ihrer Lust, um dies zu beweisen, mit ihm entkleidet durch die Straßen von Rom zu ziehen. Und er verstieß sie, als sie es verweigerte. 'Du zeigst', sprach dieser Mönch, 'dass du noch nach der Natur lebst und den Menschen gefallen willst, rühme dich nicht, du habest die Welt überwunden!' Dieser Mönch war ebenderselbe, welcher unter dem Kaiser Dezius das grausamste Märtyrertum erlitt. Man trennte bekanntlich die Junkturen der Glieder und stürzte ihn dann vom hohen Felsen hinab.

 

Ottmar: Du kennst dich aus!

 

Theodor: Und was erwiderte dein Heiliger?

 

Cyprian: Er erbleichte und seine Augen glühten auf. Feierlich und gespenstig rief er:

 

Serapion: Der Märtyrer Serapion, von dem Sie sprechen, bin ich selbst!

 

Lothar: Das gibt es nicht!

 

Cyprian: Bin noch nicht fertig!

 

Lothar: Du hast widersprochen?

 

Cyprian: Ich rief, Sie halten sich für jenen Serapion, der vor vielen hundert Jahren auf die jämmerlichste Weise umkam?

 

Lothar: Und er? (Cyprian zeigt auf Serapion)

 

Serapion: Sie mögen das unglaublich finden, und ich gestehe ein, dass es manchem, der nicht weiter zu schauen vermag, als eben seine Nase reicht, sehr wunderbar klingen muss, allein es ist nun einmal so. Die Allmacht Gottes hat mich mein Märtyrertum glücklich überstehen lassen, weil es in seinem ewigen Ratschluss lag, dass ich noch einige Zeit hindurch hier in der Thebaischen Wüste ein ihm gefälliges Leben führen sollte. Ein heftiger Kopfschmerz und ebenso heftiges Ziehen in den Gliedern, nur das allein erinnert mich noch zuweilen an die überstandenen Qualen.

 

Lothar (winkt ab): Hoffnungslos!

 

Cyprian (lacht): Ich glaubte, es sei an der Zeit, mit meiner Kur zu beginnen.

 

Theodor: Ernsthaft? Den wolltest du kurieren?

 

Lothar (sehr nachdenklich): Dogma oder Wahnsinn!

 

Cyprian (kommt zurück zu seinem Sessel): Ich holte weit aus und sprach sehr gelehrt über die Krankheit der fixen Ideen, die den Menschen zuweilen befalle und wie ein einziger Misston den sonst rein gestimmten Organismus verderbe. Ich erwähnte jenes Gelehrten, der nicht zu bewegen war, vom Stuhle aufzustehen, weil er befürchtete, dann sogleich mit seiner Nase dem Nachbar gegenüber die Fensterscheiben einzustoßen; des Abts Molanus, der über alles sehr vernünftig sprach und bloß deshalb seine Stube nicht verließ, weil er besorgte, sofort von den Hühnern gefressen zu werden, da er sich für ein Gerstenkorn hielt. Ich kam darauf, dass die Vertauschung des eignen Ichs mit irgendeiner geschichtlichen Person gar häufig als fixe Idee sich im Innern gestalte. Nichts Tolleres, nichts Ungereimteres könne es geben, meinte ich ferner, als den kleinen, täglich von Bauern, Jägern, Reisenden und Spaziergängern durchstreiften Wald zwei Stunden von Bamberg für die Thebaische Wüste und sich selbst für denselben heiligen Schwärmer zu halten, der vor vielen hundert Jahren den Märtyrertod erlitt.

 

Ottmar: Vergebens!

 

Cyprian: Tja! Serapion, oder wie immer der Mann heißen mag, hörte mich schweigend an. Er schien den Nachdruck meiner Worte zu fühlen und in tiefem Nachdenken mit sich selbst zu kämpfen. Nun glaubt' ich, den Hauptschlag führen zu müssen. (geht zurück auf das Podest) Ich fasste seine Hände (fasst Serapions Hände) und rief mit starker Stimme: Graf, erwachen Sie aus dem verderblichen Traum, der Sie bestrickt, werfen Sie diese gehässigen Kleider ab, geben Sie sich Ihrer Familie wieder, die um Sie trauert, und der Welt, die die gerechtesten Ansprüche an Sie macht!

 

Ottmar: Vergebens!

 

Cyprian: Serapion schaute mich mit finsterem durchbohrenden Blick an, dann spielte ein sarkastisches Lächeln um Mund und Wange, und er sprach langsam und ruhig:

 

Serapion: Sie haben, mein Herr, sehr lange und Ihres Bedünkens auch wohl sehr herrlich und weise gesprochen, erlauben Sie, dass ich Ihnen jetzt einige Worte erwidere.

 

Theodor: Er hat sich auf einen Disput eingelassen?

 

Cyprian: Nun hör schon zu!

 

Serapion: Der heilige Antonius, alle Männer der Kirche, die sich aus der Welt in die Einsamkeit zurückgezogen, wurden öfters von hässlichen Quälgeistern heimgesucht, die, die innere Zufriedenheit der Gottgeweihten beneidend, ihnen hart zusetzten so lange, bis sie überwunden, schmählich im Staube lagen. Mir geht es nicht besser. Dann und wann erschienen mir Leute, die, vom Teufel angetrieben, mir einbilden wollen, ich sei Graf Paul aus München, um mich zu verlocken zur Hoffart und allerlei bösem Wesen. Half nicht Gebet, so nahm ich sie bei den Schultern, warf sie hinaus und verschloss sorgfältig mein Gärtlein. Beinah möcht' ich mit Ihnen, mein Herr, auf gleiche Weise verfahren. Doch wird es dessen nicht bedürfen. Sie sind offenbar der ohnmächtigste von allen Widersachern, die mir erschienen, und ich werde Sie mit Ihren eignen Waffen schlagen, das heißt mit den Waffen der Vernunft.

 

Lothar (fassungslos): Auf die Vernunft berief er sich? Auf die Vernunft?

 

Cyprian: Unterbrich ihn doch nicht!

 

Lothar: Entschuldige, mit dem Mann kann man doch nicht reden!

 

Cyprian: Er redete mit mir!

 

Serapion: Ist vom Wahnsinn die Rede, leidet einer von uns an dieser bösen Krankheit, so ist das offenbar bei Ihnen in viel höherem Grade der Fall als bei mir. Sie behaupten, es sei fixe Idee, dass ich mich für den Märtyrer Serapion halte, und ich weiß recht gut, dass viele Leute dasselbe glauben oder vielleicht nur so tun, als ob sie es glaubten. Bin ich nun wirklich wahnsinnig, so kann nur ein Verrückter wähnen, dass er imstande sein werde, mir die fixe Idee, die der Wahnsinn erzeugt hat, auszureden. Wäre dies möglich, so gäb es bald keinen Wahnsinnigen mehr auf der ganzen Erde, denn der Mensch könnte gebieten über die geistige Kraft, die nicht sein Eigentum, sondern nur anvertrautes Gut der höhern Macht ist, die darüber waltet. Bin ich aber nicht wahnsinnig und wirklich der Märtyrer Serapion, so ist es wieder ein törichtes Unternehmen, mir das ausreden und mich erst zu der fixen Idee treiben zu wollen, ich sei Graf und zu Großem berufen. Sie sagen, dass der Märtyrer Serapion vor vielen hundert Jahren lebte, und dass ich folglich nicht jener Märtyrer sein könne, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil Menschen nicht so lange auf Erden zu wandeln vermögen. Fürs erste ist die Zeit ein ebenso relativer Begriff wie die Zahl, und ich könnte Ihnen sagen, dass, wie ich den Begriff der Zeit in mir trage, es kaum drei Stunden oder wie Sie sonst den Lauf der Zeit bezeichnen wollen, her sind, als der Kaiser Dezius hinrichten ließ. Dann aber, davon abgesehen, können Sie mir nur den Zweifel entgegenstellen, dass ein solch langes Leben, wie ich geführt haben will, beispiellos und der menschlichen Natur entgegen sei. Haben Sie Kenntnis von dem Leben jedes einzelnen Menschen, der auf der ganzen weiten Erde existiert hat, dass Sie das Wort beispiellos keck aussprechen können? Stellen Sie die Allmacht Gottes der armseligen Kunst des Uhrmachers gleich, der die tote Maschine nicht zu retten vermag vor dem Verderben? Sie sagen, der Ort, wo wir uns befinden, sei nicht die Thebaische Wüste, sondern ein kleiner Wald, der zwei Stunden von Bamberg liege und täglich von Bauern, Jägern und ändern Leuten durchstreift werde. Beweisen Sie mir das!

 

Cyprian (zu seinen Freunden gewandt): Hier glaubte ich, meinen Mann fassen zu können. Ich rief (zu Serapion): Auf, kommen Sie mit mir, in zwei Stunden sind wir in Bamberg, und das, was ich behaupte, ist bewiesen.

 

Serapion: Armer verblendeter Tor! Welch ein Raum trennt uns von Bamberg! Aber gesetzten Falls ich folgte Ihnen wirklich nach einer Stadt, die Sie Bamberg nennen, würden Sie mich davon überzeugen können, dass wir wirklich nur zwei Stunden wandelten, dass der Ort, wo wir hingelangten, wirklich Bamberg sei?

 

Cyprian: Aber ja!

 

Serapion: Wenn ich nun behauptete, dass eben Sie, von einem heillosen Wahnsinn befangen, die Thebaische Wüste für ein Wäldchen und das ferne, ferne Alexandrien für die süddeutsche Stadt Bamberg hielten, was würden Sie sagen können? Der alte Streit würde nie enden und uns beiden verderblich werden. Und noch eins mögen Sie recht ernstlich bedenken! Sie müssen es wohl merken, dass der, der mit Ihnen spricht, ein heitres ruhiges, mit Gott versöhntes Leben führt. Nur nach überstandenem Märtyrertum geht ein solches Leben im Innern auf. Hat es nun der ewigen Macht gefallen, einen Schleier zu werfen über das, was vor jenem Märtyrertum geschah, ist es nicht eine grausame heillose Teufelei, an diesem Schleier zu zupfen?

 

Cyprian (löst sich langsam von Serapion, tritt vom Podest): Mit all meiner Weisheit stand ich vor diesem Wahnsinnigen! Verwirrt! Beschämt! Mit der Konsequenz seiner Narrheit hatte er mich gänzlich aus dem Felde geschlagen, und ich sah die Torheit meines Unternehmens in vollem Umfange ein. Noch mehr als das, den Vorwurf, den seine letzten Worte enthielten, fühlte ich ebenso tief, als mich das dunkle Bewusstsein des frühern Lebens, das darin wie ein höherer unverletzbarer Geist hervorschimmerte, in Erstaunen setzte. Serapion schien meine Stimmung recht gut zu bemerken, (tritt zurück auf das Podest) er schaute mir mit einem Blick, in dem der Ausdruck der reinsten unbefangensten Gemütlichkeit lag, ins Auge und sprach:

 

Serapion: Gleich hielt ich Sie eben für keinen schlimmen Widersacher, und so ist es auch in der Tat. Wohl mag es sein, dass dieser, jener, ja vielleicht der Teufel selbst Sie aufgeregt hat, mich zu versuchen, in Ihrer Gesinnung lag es gewiss nicht, und vielleicht nur, dass Sie mich anders fanden, als Sie sich den Einsiedler Serapion gedacht hatten, bestärkte Sie in den Zweifeln, die Sie mir entgegen warfen. Ohne im mindesten von jener Frömmigkeit abzuweichen, die dem ziemt, der sein ganzes Leben Gott und der Kirche geweiht, ist mir jener asketische Zynismus fremd, in den viele von meinen Brüdern verfielen und dadurch statt der gerühmten Stärke innere Ohnmacht, ja offenbare Zerrüttung aller Geisteskräfte bewiesen. Des Wahnsinns hätten Sie mich beschuldigen können, fanden Sie mich in dem heillosen abscheulichen Zustande, den jene besessene Fanatiker sich oft selbst bereiten. Sie glaubten den Mönch Serapion zu finden, jenen zynischen Mönch, blass, abgemagert, entstellt von Wachen und Hungern, alle Angst, alles Entsetzen der abscheulichen Träume im düstern Blick, die den heiligen Antonius zur Verzweiflung brachten, mit schlotternden Knien, kaum vermögend aufrecht zu stehen, in schmutziger blutbedeckter Kutte, und treffen auf einen ruhigen heitern Mann. Auch ich überstand diese Qualen, von der Hölle selbst in meiner Brust entzündet, aber als ich mit zerrissenen Gliedern, mit zerschelltem Haupt erwachte, erleuchtete der Geist mein Inneres und ließ Seele und Körper gesunden. Möge dich, o mein Bruder, der Himmel schon auf Erden die Ruhe, die Heiterkeit genießen lassen, die mich erquickt und stärkt. Fürchte nicht die Schauer der tiefen Einsamkeit, nur in ihr geht dem frommen Gemüt solch ein Leben auf! (Serapion hebt den Blick gen Himmel)

 

Cyprian (wendet sich seinen Freunden zu): Mir wurde ganz unheimlich zumute! Ein wahnsinniger Mensch, der seinen Zustand als eine herrliche Gabe des Himmels preist, nur in ihm Ruhe und Heiterkeit findet und recht aus der innersten Überzeugung mir ein gleiches Schicksal wünscht! Ich wollte mich schon still entfernen...

 

Serapion: Warten Sie! (setzt sich nieder, mit veränderter Stimme): Sie sollten nicht meinen, dass diese rauhe unwirtliche Wüste mir für meine stillen Betrachtungen oft beinahe zu lebhaft wird. Täglich erhalte ich Besuche von den merkwürdigsten Männern der verschiedensten Art. Gestern war Ariost bei mir, dem bald darauf Dante und Petrarch folgten, heute abends erwarte ich den wackern Kirchenlehrer Evagrius und gedenke, so wie gestern über Poesie, heute über die neuesten Angelegenheiten der Kirche zu sprechen. Manchmal steige ich auf die Spitze jenes Berges, von der man bei heitrem Wetter ganz deutlich die Türme von Alexandrien erblickt, und vor meinen Augen begeben sich die wunderbarsten Ereignisse und Taten. Viele haben das auch unglaublich gefunden und gemeint, ich bilde mir nur ein, das vor mir im äußern Leben wirklich sich ereignen zu sehen, was sich nur als Geburt meines Geistes, meiner Phantasie gestalte. Ich halte dies nun für eine der spitzfindigsten Albernheiten, die es geben kann. Ist es nicht der Geist allein, der das, was sich um uns her begibt in Raum und Zeit, zu erfassen vermag? Ja, was hört, was sieht, was fühlt in uns? Vielleicht die toten Maschinen, die wir Auge, Ohr, Hand nennen, und nicht der Geist? Gestaltet sich nun etwa der Geist seine in Raum und Zeit bedingte Welt im Innern auf eigne Hand und überlässt jene Funktionen einem andern, uns innewohnenden Prinzip? Wie ungereimt! Ist es nun also der Geist allein, der die Begebenheit vor uns erfasst, so hat sich das auch wirklich begeben, was er dafür anerkennt. Eben gestern sprach Ariost von den Gebilden seiner Phantasie und meinte, er habe im Innern Gestalten und Begebenheiten geschaffen, die niemals in Raum und Zeit existierten. Ich bestritt, dass dies möglich, und er musste mir einräumen, dass es nur Mangel höherer Erkenntnis sei, wenn der Dichter alles, was er vermöge seiner besonderen Sehergabe vor sich im vollem Leben erschaue, in den engen Raum seines Gehirns einschachteln wolle. Aber erst nach dem Märtyrertum kommt jene höhere Erkenntnis, die genährt wird von dem Leben in tiefer Einsamkeit. Sie scheinen nicht mit mir einig, Sie begreifen mich vielleicht gar nicht? Doch freilich, wie sollte ein Kind der Welt, trägt es auch den besten Willen dazu in sich, den Gott geweihten Einsiedler begreifen können in seinem Tun und Treiben! Lassen Sie mich erzählen, was sich heute, als die Sonne aufging und ich auf der Spitze jenes Berges stand, vor meinen Augen begab.

 

Cyprian (verlässt fast fluchtartig das Podest): Serapion erzählte jetzt eine Novelle, angelegt, durchgeführt, wie sie nur der geistreichste, mit der feurigsten Phantasie begabte Dichter anlegen und durchführen kann. Alle Gestalten traten mit einer plastischen Rundung, mit einem glühenden Leben hervor, dass man, fortgerissen, bestrickt von magischer Gewalt wie im Traum, daran glauben musste, dass Serapion alles selbst wirklich von seinem Berge erschaut. Dieser Novelle folgte eine andere und wieder eine andere, bis die Sonne hoch im Mittag über uns stand. Da erhob sich Serapion von seinem Sitz (Serapion erhebt sich) und sprach, in die Ferne blickend:

 

Serapion: Dort kommt mein Bruder Hilarion, der in seiner zu großen Strenge immer mit mir zürnt, dass ich mich der Gesellschaft fremder Leute zu sehr hingebe.

 

Cyprian: Ich verstand den Wink und nahm Abschied, indem ich fragte, ob es mir wohl vergönnt sei, wieder bei ihm einzukehren.

 

Serapion (mit mildem Lächeln): Ei, mein Freund, ich dachte, du würdest hinauseilen aus dieser wilden Wüste, die deiner Lebensweise gar nicht zuzusagen scheint. Gefällt es dir aber, einige Zeit hindurch deine Wohnung in meiner Nähe aufzuschlagen, so sollst du mir jederzeit willkommen sein in meiner Hütte, in meinem Gärtlein! Vielleicht gelingt es mir, den zu bekehren, der zu mir kam als böser Widersacher! Gehab' dich wohl, mein Freund! (geht ab)

 

Lothar: Und dann?

 

Cyprian (tritt zurück zu seinem Sessel): Ich vermag den Eindruck gar nicht zu beschreiben, den der Besuch bei dem Unglücklichen auf mich machte!

 

Theodor: Unglaublich! (verteilt Getränke)

 

Ottmar: Besondere Sehergabe! Hm!!

 

Lothar: Und dann?

 

Cyprian: Sein Zustand, sein methodischer Wahnsinn, in dem er das Heil seines Lebens fand, erfüllte mich mit tiefem Schauer! Sein hohes Dichtertalent setzte mich in Staunen. Und seine Gemütlichkeit, sein ganzes Wesen, das die ruhigste Hingebung des reinsten Geistes atmete, erweckte in mir die tiefste Rührung. Ich gedachte jener schmerzlichen Worte Opheliens: >0 welch ein edler Geist ist hier zerstört!< Und doch könnt' ich die ewige Macht nicht anklagen, die vielleicht auf diese Weise den Unglücklichen vor bedrohlichen Klippen rettete. Je öfter ich nun meinen Einsiedler besuchte, desto herzlicher gewann ich ihn lieb. Immer fand ich ihn heiter und gesprächig, und ich hütete mich wohl, etwa wieder den psychologischen Arzt machen zu wollen. Es war bewunderungswürdig, mit welchem Scharfsinn, mit welchem durchdringenden Verstande mein Einsiedler über das Leben in allen seinen Gestaltungen sprach, höchst merkwürdig aber, aus welchen von jeder aufgestellten Ansicht ganz abweichenden tiefern Motiven er geschichtliche Begebenheiten entwickelte. Nahm ich's mir zuweilen heraus, so sehr mich auch der Scharfsinn seiner Divinationen traf, doch einzuwenden, dass kein historisches Werk der besonderen Umstände erwähne, die er anführe, so versicherte er mit mildem Lächeln, dass wohl freilich kein Historiker der Welt das alles so genau wissen könne als er, der es ja aus dem Munde der handelnden Personen selbst hätte, die ihn besucht.

 

Lothar: Und?

 

Cyprian: Ich mußte Bamberg verlassen und kehrte erst nach drei Jahren wieder zurück.

 

Lothar: Na sag!

 

Cyprian: Es war später Herbst, in der Mitte des Novembers, wenn ich nicht irre, gerade der vierzehnte, als ich hinauslief, um meinen Einsiedler aufzusuchen. Von weitem hörte ich den Ton der kleinen Glocke, die über seiner Hütte angebracht war, und fühlte mich von düsterer Ahnung durchbebt. Ich kam endlich an die Hütte, ich trat hinein. Serapion lag ausgestreckt, die Hände auf der Brust gefaltet, auf seinen Binsenmatten. Ich glaubte, dass er schliefe. Ich trat näher heran, da merkt' ich es wohl - er war gestorben!

 

Ottmar (böse ironisch): Und du begrubst ihn mit Hilfe zweier Löwen!

 

Cyprian: Was?

 

Ottmar: Schon im Walde, noch ehe du Serapions Hütte erreicht hattest, begegneten dir seltsame Ungeheuer, mit denen du sprachst. Ein Hirsch brachte dir den Mantel des heiligen Athanasius und bat dich, Serapions Leichnam darin einzuwickeln.

 

Theodor (besänftigend): Genug!

 

Ottmar: Cyprians letzter Besuch bei seinem wahnsinnigen Einsiedler gemahnt mich an jenen wunderbaren Besuch, den Antonius dem Einsiedler Paulus abstattete, und von dem der heilige Mann so viel phantastisches Zeug erzählt, dass man wohl wahrnimmt, wie es ihm ziemlich stark im Kopf spukte. Du siehst, dass ich mich auch auf die Legenden der Heiligen verstehe! Nun weiß ich jedenfalls, warum vor einigen Jahren deine ganze Phantasie von Mönchen, Klöstern, Einsiedlern, Heiligen erfüllt war. Ich merkte das aus dem Briefe, den du mir damals schriebst, und in dem ein solch eigner mystischer Ton herrschte, dass ich auf allerlei sonderbare Gedanken geriet. Irre ich nicht, so dichtetest du damals ein seltsames Buch, das, auf dem tiefsten katholischen Mystizismus basierend, so viel Wahnsinniges und Teuflisches enthielt, dass es dich hätte bei sanften hochgescheiten Personen um allen Kredit bringen können. Gewiss spukte damals der höchste Serapionismus in dir.

 

Cyprian: So ist es! Und ich möchte beinahe wünschen, jenes phantastische Buch, das indessen doch als Warnungszeichen den Teufel an der Stirn trägt, vor dem sich ein jeder hüten kann, nicht in die Welt geschickt zu haben. Freilich regte mich der Umgang mit dem Einsiedler dazu an. Ich hätte ihn vielleicht meiden sollen, aber ihr kennt ja meinen besondern Hang zum Verkehr mit Wahnsinnigen. Immer glaubte ich, dass die Natur gerade beim Abnormen Blicke in ihre schauerlichste Tiefe vergönne. Und in der Tat, selbst in dem Grauen, dass mich oft bei jenem seltsamen Verkehr befing, gingen mir Ahnungen und Bilder auf, die meinen Geist zum besonderen Aufschwung stärkten und belebten. Mag es sein, dass die von Grund aus Verständigen diesen besondern Aufschwung nur für den Paroxismus einer gefährlichen Krankheit halten; was tut das, wenn der der Krankheit Angeklagte sich nur selbst kräftig und gesund fühlt.

 

Theodor: Das bist du ganz gewiss, mein Lieber! Und das beweist deine robuste Konstitution, um die ich dich beinah' beneiden möchte. Du sprichst von dem Blick in die schauerlichste Tiefe der Natur, möge nur jeder sich vor einem solchen Blick hüten, der sich nicht frei weiß von allem Schwindel.

 

Ottmar (zeigt zum Podest): Wie er da so saß, so in sich ruhig und zufrieden! Schauerlich!

 

Lothar: Oder erstrebenswert!

 

Theodor (verblüfft): Erstrebenswert?

 

Cyprian: Ja! Leben in der eigenen Welt!

 

Lothar: Fern der beschissenen Wirklichkeit!

 

Theodor (abwinkend): Aber, aber, meine Herren, welch Ton hier in unserem Refugium! Cyprian, so wie du uns deinen Serapion dargestellt hast, wird wohl niemand leugnen, dass sein gutmütiger stiller Wahnsinn gar nicht in Betracht kommen kann, da der Umgang mit dem geistreichsten, lebendigsten Dichter kaum mit dem seinigen zu vergleichen ist.

 

Cyprian: Jaein!

 

Theodor: Ich behaupte, dass mich wenigstens bei einem Menschen, der eben auf solche Weise wahnsinnig war wie dein Serapion, die innere Angst, ja das Entsetzen nie verlassen würde. Schon als Serapion seinen Zustand als den glücklichsten pries, als er dich so selig wünschte, als er selbst sich fühlte, standen mir die Haare zu Berge.

 

Lothar: Ich kann mir nicht helfen! Je länger ich darüber nachdenke! Es hätt’ was! Es hätt’ was.

 

Ottmar: Ich muss sagen...

 

Cyprian (sehr nachdenklich): Ja, ja, ja...

 

Theodor (sehr bestimmt): Es wäre heillos, es wäre schrecklich, wenn der Gedanke dieses scheinbar glücklichen Zustandes Wurzel fassen würde im Gemüt, und dadurch den wirklichen Wahnsinn herbeiführen könnte. Nie hätte ich mich schon deshalb Serapions Umgange hingegeben, und dann ist noch außer der geistigen Gefahr die leibliche zu fürchten, dass, wie der französische Arzt Piriel häufige Fälle anführt, von fixen Ideen Befallene oft plötzlich in Tobsucht geraten und wie ein wütendes Tier alles um sich her morden.

 

Ottmar: Theodor hat recht! Cyprian, ich tadle deinen närrischen Hang zur Narrheit, deine wahnsinnige Lust am Wahnsinn. Es liegt etwas Überspanntes darin, das dir mit der Zeit wohl lästig werden wird. Dass ich Wahnsinnige fliehe wie die Pest, versteht sich wohl. Schon Menschen von überreizter Phantasie, die sich auf diese oder jene Weise spleenisch äußert, sind mir unheimlich und fatal.

 

Theodor: Mein lieber Ottmar, ich finde, hier gehst du zu weit!

 

Ottmar: Na?!

 

Theodor: Indem du alles hasst, was sich von innen heraus im Äußern auf nicht gewöhnliche, etwas seltsame Weise gebärden will. Das Missverhältnis des innern Gemüts mit dem äußern Leben, welches der reizbare Mensch fühlt, treibt ihn wohl zu besonderen Grimassen, die die ruhigen Gemüter, über die der Schmerz so wenig Gewalt hat als die Lust, nicht begreifen können, sondern sich nur darüber ärgern. Merkwürdig ist, dass du, mein lieber Ottmar, selbst so leicht verwundbar, dennoch gelegentlich geneigt bist, aus allen Schranken zu treten, und schon oft den Vorwurf des vollkommensten Spleens auf dich geladen hast.

 

Ottmar (empört): Bitte!