Szenen nach
E.T.A. Hoffmann
Biedermeier-Zimmer im Kaffeehaus Manderlee in Berlin Unter den Linden 44 im Jahre 1820.
Links Sesselrunde vor flackerndem Kamin um
einen Klubtisch. Rechts im Dunkel liegender Abgang ins Kaffeehaus. Im
Hintergrund verhangenes großes Fenster. Zwischen Tür und Fenster rechts in der
Ecke ein Podest. Dämmerige Atmosphäre.
1. Szene
Beim Öffnen
des Vorhanges sitzen Theodor, Lothar, Ottmar und Cyprian in der Runde. Ein
Kellner hat soeben eine große Bowle auf den Tisch gestellt.
Theodor: Danke, Friedrich, danke! Wir bedienen uns! (erhebt
sich, während der Kellner vornehm stumm den Raum verlässt, beginnt, behutsam
Bowle in die Gläser zu füllen.)
Lothar (spricht in Theodors Tätigkeit hinein):
Stelle man sich auch an, wie man wolle,...
Theodor: Moment doch!
Lothar (winkt ab): ...nicht wegzuleugnen,
nicht wegzubannen ist die bittre Überzeugung, dass nimmer wiederkehrt, was einmal da gewesen.
Ottokar: Beweise!
Lothar (unbeirrt): Eitles
Mühen, sag ich euch, eitles Mühen, sich entgegenzustemmen der unbezwinglichen
Macht der Zeit, die fort und fort schafft in ewigem Zerstören.
Ottokar: Unbezwingliche Macht der Zeit, da ist was
dran!
Theodor: Ewiges Zerstören, das ist gut!
Lothar (unbeirrt beschwörend): Nur die Schattenbilder des in tiefe Nacht
versunkenen Lebens bleiben zurück und
walten in unserm Innern und necken und höhnen uns oft wie spukhafte Träume.
Aber wir Toren! Wähnen wir doch, was unser Gedanke, unser eignes Ich geworden, noch außer uns auf der Erde zu
finden ist, blühend in unvergänglicher Jugendfrische!
Ottokar: Ja, ja, Errungenes einst, dahin!
Lothar: Die Geliebte, die wir verlassen, der Freund, von dem wir uns
trennen mussten, verloren sind beide für uns
auf immer! Die, die wir vielleicht nach
Jahren wiedersehen, sind nicht mehr dieselben, von denen wir schieden,
und sie finden ja auch uns nicht mehr wieder!
Theodor ( lachend, ironisch): Wenigstens bewährst du dich insofern ganz als denselben, von dem ich vor zwölf Jahren schied, als du noch ebenso wie damals geneigt bist, dich allem
Unmut rücksichtslos hinzugeben.
Lothar: Sachte, sachte!
Theodor:(noch immer stehend, erhebt sein Glas) Meine Herren! Meinen ‚Kardinal’ kennt ihr ja wohl noch! Auf dass
es uns wohl ergehe! (alle erheben sich, trinken still, setzen sich alsdann,
Theodor zunächst noch stehend, an Lothar gerichtet) Da du das Wort schon
genommen hast. Wahr ist, und ich, Ottmar
und Cyprian fühlen es gewiss ebenso
lebhaft als du, Lothar, dass unser erstes Beisammensein nach langer
Trennung gar nicht so erfreulich ist, als wir es uns wohl gedacht haben mochten.
Lothar: So ist es!
Theodor: Wälze die Schuld auf mich, der ich aus einer unserer unendlichen Gassen
in die andere lief, der
ich nicht abließ, bis ich euch heute Abend hier im uns wohl vertrauten
Kaffeehaus Manderlee zusammengebracht habe, wo wir
uns in unserem geliebten Biedermeier-Zimmer ungestört unseren höheren
Intentionen hingeben können.
Cyprian: Sehr wohl!
Theodor: Vielleicht wäre es gescheiter gewesen,
hätt' ich unser Wiedersehn dem günstigen Zufall überlassen. Aber der Gedanke war mir unerträglich,
dass wir, die wir jahrelang zusammenlebten, durch herzliche Liebe, durch ein
gleiches schönes Streben in Kunst und Wissenschaft innig verbunden, dass wir,
die nur der wilde Orkan, wie er daherbrauste in der
verhängnisvollen Zeit, die wir durchlebt, auseinander schleudern konnte, dass
wir, sage ich, auch nur einen Tag in demselben Hafen geankert haben sollten,
ohne uns mit leiblichen Augen zu schauen, wie wir es unterdessen mit geistigen
getan.
Lothar: Sehr richtig! (hebt sein Glas, die übrigen halten mit)
Theodor (verfällt in feierliches, etwas selbstgefälliges Pathos): Und nun sitzen wir schon ein
paar Stunden zusammen, haben uns eben neu versorgen lassen und quälen uns mörderlich
ab mit dem Enthusiasmus unserer frischblühenden Freundschaft. Und keiner hat bis zu diesem Augenblick etwas Gescheites zu Markte gebracht, sondern fades
langweiliges Zeug geschwatzt.
Ottmar: Oh, oh!
Theodor: Und woher kommt das alles
anders, als dass wir insgesamt recht kindische Kinder sind, dass wir glaubten,
es werde nun gleich wieder fortgehen in derselben Melodie, die wir vor
zwölf Jahren abbrachen. Cyprian
müsste vielleicht irgendein phantastisches Gedicht oder wohl gar eine ganze überschwängliche Oper mitgebracht haben und
ich sie zur Stelle komponieren und auf demselben lendenlahmen Pianoforte
wie vor zwölf Jahren losdonnern, dass alles an dem armen lebenssatten
Instrumente knackt und ächzt. Oder Ottmar müsste erzählen von irgendeiner
herrlichen Rarität, die er aufgespürt, von einem auserlesenen Wein, und uns
alle in Feuer und Flamme setzen und uns
aufregen zu allerlei seltsamen Anschlägen. Und da das alles nicht geschehen ist, schmollen wir insgeheim
aufeinander, und jeder denkt vom andern:
‚Ei, wie ist der Gute so ganz und gar nicht mehr derselbe, dass der sich
so ändern könnte, nimmermehr hätt' ich das gedacht!’
Cyprian: Ja freilich sind wir alle nicht mehr dieselben!
Theodor: Dass wir zwölf Jahre älter worden, dass sich wohl mit jedem Jahr
immer mehr und mehr Erde an uns ansetzt, die uns
hinabzieht aus der luftigen Region, bis wir am Ende
unter die Erde kommen, das
will ich gar nicht in Anschlag bringen. Aber wen von uns hat indessen nicht der
wilde Strudel von Ereignis zu Ereignis, ja
von Tat zu Tat fortgerissen? Konnte denn alles Schrecken, alles
Entsetzen, alles Ungeheure der Zeit an
uns vorübergehen, ohne uns gewaltig zu erfassen, ohne tief in unser
Inneres hinein seine blutige Spur einzugraben?
Ottmar (sinnierend): Blutige Spur...?
Lothar: Ja, ja, das ist schon ein gutes Bild!
Theodor: Darüber erbleichten die Bilder des früheren Lebens, und fruchtlos
bleibt nun das Mühen, sie wieder aufzufrischen! Mag es aber auch sein, dass
manches, was uns damals im Leben, ja an und in uns selbst als hoch und herrlich erschien, jetzt merklich
den blendenden Glanz verloren, da
unsere Augen durch stärkeres Licht verwöhnt, die innere Gesinnung, aus
der unsere Liebe entsprosste, ist
doch wohl geblieben. Ich meine, ein jeder
glaubt doch wohl noch vom andern, dass er was Erkleckliches tauge und
inniger Freundschaft wert sei. Lasst uns also die alte Zeit und alle alte Ansprüche aus ihr her
vergessen und, von jener Gesinnung ausgehend, versuchen, wie sich ein
neues Band unter uns verknüpft. (erhebt
sein Glas, alle trinken stumm)
Ottmar: Theodor
hat recht! Mag denn die Zeit auch vieles umgestaltet haben, feststeht doch in unserm Innern der Glaube an uns selbst. Und
hiermit erkläre ich die Präliminarien unsers neuen Bundes feierlichst
für abgeschlossen und setze fest, dass wir
uns jede Woche an einem bestimmten Tage zusammenfinden wollen, denn
sonst verlaufen wir uns in der großen Stadt hierhin, dorthin und werden
auseinander getrieben noch ärger als bisher.
Lothar (sarkastisch): Herrlicher Einfall!
Füge noch gleich gewisse Gesetze hinzu, die
bei unsern wöchentlichen Zusammenkünften stattfinden sollen. Zum
Beispiel, dass über dieses oder jenes nicht gesprochen werden darf! Oder dass jeder gehalten sein soll, dreimal witzig
zu sein. Oder dass wir ganz gewiss jedes Mal Sardellensalat essen wollen. Auf diese Art bricht dann alle Philisterei auf
uns ein, wie sie nur in irgendeinem Klub grünen und blühen mag. Glaubst du denn nicht, Ottmar, dass jede
bestimmte Verabredung über unser Beisammensein sogleich einen lästigen Zwang
herbeiführt, der mir wenigstens allen Genuss
verleidet?
Theodor: Lothar lässt nicht so leicht ab von seinem Unmut, das wissen wir
ja alle ebenso, als dass er in solch böser Stimmung Gespenster sieht, mit denen
er wacker herumkämpft, bis er, müde geworden, selbst
eingestehen muss, dass es nur Gespenster waren, die das eigne Ich schuf.
Lothar: Erinnere dich doch nur des tiefen Widerwillens, den wir ehemals gegen alles hegten,
was sich nur im mindesten als Klub, Ressource
oder wie sonst solch eine tolle Anstalt heißen mag, in der Langeweile und
Überdruss systematisch gehandhabt werden,
gestalten wollte. Und nun versuchst du selbst das vierblättrige
Kleeblatt, das nur natürlich, ohne Zwang des
Gärtners emporkeimt, in solch böse Form einzuzwängen!
Theodor: Wie ist es nur möglich, dass du bei Ottmars harmlosem und dabei höchst vernünftigem Vorschlag sogleich an Klubs und Ressourcen denkst und an
alle Philisterei, die damit notwendig verknüpft ist? (dämpfend gegen
das gestische Aufbegehren von Lothar) Aber dabei ist mir ein gar ergötzliches Bild aus unserm frühern Leben aufgegangen.
Erinnerst du dich wohl noch der Zeit, als wir das erstemal die Residenz verließen und nach dem kleinen
Städtchen Potsdam zogen?
Lothar: Ja, erinnere mich. Diese Honoratioren da, ha...!
Theodor: Anstand und Sitte verlangten es, wir mussten uns sofort in den
Klub aufnehmen lassen, den die sogenannten Honoratioren der Stadt bildeten. Wir
erhielten in einem feierlichen, im
strengsten Geschäftsstil abgefassten
Schreiben die Nachricht, dass wir nach geschehener Stimmensammlung wirklich als Mitglieder des Klubs
aufgenommen worden. Und dabei lag ein wohl fünfzehn bis zwanzig Bogen
starkes, sauber gebundenes Buch, welches die
Gesetze des Klubs enthielt.
Lothar: Ja, ja, schon gut!
Theodor (in Rage): Die Gesetze hatte ein alter
Rat verfasst, ganz in der Form des preußischen Landrechts, mit der Einteilung
in Titel und Paragraphen. Etwas Ergötzlicheres
konnte man gar nicht lesen. So war ein Titel überschrieben: ‚Von Weibern und
Kindern und deren Befugnissen und
Rechten’, worin dann nichts Geringeres sanktioniert wurde, als dass die
Frauen der Mitglieder jeden Donnerstag und Sonntag des Abends in dem Lokal des
Klubs Tee trinken, zur Winterszeit aber sogar vier- oder sechsmal tanzen durften. Wegen der Kinder waren
die Bestimmungen schwieriger und kritischer, da der Jurist die Materie mit ungemeinem Scharfsinn behandelt und
unmündige, mündige, minderjährige
und unter väterlicher Gewalt stehende Personen sorgsam unterschieden
hatte. Die unmündigen wurden gar hübsch ihrer moralischen Qualität nach in
artige und unartige Kinder eingeteilt und letzteren der Zutritt in den Klub
unbedingt untersagt, als dem Fundamentalgesetz entgegen; der Klub sollte
durchaus nur ein artiger sein.
Ottmar (vom Eifer angesteckt):
Hierauf folgte unmittelbar der merkwürdige Titel von Hunden, Katzen und andern
unvernünftigen Kreaturen. Niemand solle, hieß es, irgendein schädliches wildes
Tier in den Klub mitbringen. Hatte also ein Klubist
sich etwa einen Löwen, Tiger oder Panther als Schoßhund zugelegt, so blieb alles Mühen vergebens, die Bestie in den Klub
einzuführen, selbst mit verschnittenen Haaren und Nägeln verwehrten die Vorsteher dem tierischen Schismatiker den
Eintritt. Waren doch selbst gescheite Pudel und gebildete Möpse für nicht klubfähig erklärt und durften nur
ausnahmsweise zur Sommerzeit, wenn der Klub im Freien speiste, auf Grund der
nach Beratung des Ausschusses erteilten Erlaubniskarte mitgebracht werden.
Lothar: Ja, ja, ich weiß doch! Wir haben Zusätze erfunden und die Herren
genarrt!
Theodor: Genau! Wir erfanden die herrlichsten Zusätze und Deklarationen zu
diesem tiefsinnigen Kodex, die wir in der nächsten Sitzung mit dem
feierlichsten Ernst vortrugen und zu unserer höchsten Lust es dahin brachten,
dass das unsinnigste Zeug mit großer Wichtigkeit debattiert wurde. Endlich
merkte dieser, jener den heillosen Spaß. Man
traute uns nicht mehr, doch geschah nicht, was wir wollten.
Lothar: Wir glaubten, dass der förmliche Bann über uns ausgesprochen
werden würde. Ich erinnere mich der lustigen Zeit gar wohl, und bemerke zu meinem nicht geringen Verdruss, dass
dergleichen Mystifikationen mir jetzt
schlecht geraten würden. Viel zu schwerfällig bin ich geworden und sehr
geneigt, darüber mich zu ärgern, was mich
sonst zum Lachen reizte.
Ottmar: Das glaub' ich nicht! Ich bin vielmehr überzeugt, dass nur der
Nachhall irgendeines feindlichen Ereignisses gerade heute in deiner Seele
stärker nachtönt als sonst. Aber ein neues Leben wird bald wie Frühlingshauch
dein Inneres durchwehen, in ihm verklingt der Misston, und du bist wieder ganz
der alte gemütliche Lothar, der du sonst warst vor zwölf Jahren! Euer Klub in Potsdam hat mich übrigens an einen
andern erinnert, dessen Stifter von dem herrlichsten Humor beseelt gewesen
sein muss, und der in der Tat nicht wenig an den prächtigen Narrenorden
erinnerte.
Lothar: Narren?
Ottmar: Denkt euch eine Gesellschaft, die durchaus organisiert ist wie
ein Staat! Ein König, Minister, Staatsräte
etc. Die einzige Tendenz, der ganze Zweck dieser Gesellschaft war - gut zu
essen und noch besser zu trinken!
Theodor: Nicht übel! (schellt eine Glocke auf dem Tisch)
Ottmar: Deshalb geschahen die Versammlungen in dem Hotel der Stadt, wo
die beste Küche und der beste Keller anzutreffen waren. Hier wurde nun ernst
und feierlich verhandelt über das Wohl und Wehe des Staats, das in nichts
anderem bestand, als eben in guten Schüsseln und auserlesenem Wein.
Theodor: Na wunderbar! (Kellner erscheint stumm
am Eingang) Ein wenig Sardellensalat bitte! (Kellner verneigt sich, ab)
Entschuldige!
Ottmar: Ja, ja! So berichtet beispielsweise der
Minister der auswärtigen Angelegenheiten,
dass in einer entfernteren Handlung der Stadt vorzüglicher Rheinwein
angekommen. Sogleich wird eine Sendung dorthin
beschlossen! Männer von vorzüglichem Talent, das heißt mit auserlesener
Weinzunge, werden gewählt, sie erhalten
weitläufige Instruktionen, und der Minister der Finanzen weist einen
außerordentlichen Fonds an, die Kosten der Gesandtschaft und des Ankaufs
bewährt gefundener Ware zu bestreiten.
Lothar: Das lässt sich hören!
Ottmar: Oder es gerät alles in Bestürzung, weil ein Ragout missraten ist! Es werden Memoires
gewechselt, harte Reden über das bedrohliche Ungewitter
gehalten, das über den Staat heraufgezogen. Der Staatsrat tritt zusammen, um zu
beschließen, ob und von welchen Weinen heute der kalte Punsch zu bereiten ist.
In tiefes Nachdenken versunken hört der
König den Vortrag im Kabinett an; er nickt: das Gesetz vom kalten Punsch
wird gegeben und die Ausführung dem Minister des Innern übertragen. Der
Minister des Innern kann des schwachen Magens halber nicht Zitronensäure
vertragen, er schält daher Pomeranzen in das Getränk, und durch ein neues
Gesetz wird der kalte Punsch dahin deklariert, dass er Kardinal sei.
Lothar: Herrlich, herrlich!
Theodor: Na, na!
Lothar: Weiter!
Ottmar: Künste und Wissenschaften werden beschützt,
indem der Dichter, der ein neues Trinklied
gedichtet, sowie der Sänger, der es komponiert und abgesungen, vom König das Ehrenzeichen
der roten Hahnenfeder erhält, und beiden die Erlaubnis erteilt wird, eine
Flasche Wein mehr zu trinken als gewöhnlich, d. h. auf ihre Kosten!
Lothar: Nicht übel!
Ottmar: Übrigens trug der König,
repräsentierte er seine Würde, eine ungeheure
Krone aus goldnem Pappendeckel geschnitten, sowie Zepter und Reichsapfel; die Großen des Reichs
schmückten sich dagegen mit seltsam
geformten Mützen. Das Symbol der Gesellschaft bestand in einer silbernen
Büchse, auf der ein stattlicher Hahn, die Flügel ausgebreitet, krähend, sich mühte, Eier zu legen. Rechnet zu dem allen,
dass es - wenigstens zu der Zeit,
als mich der Zufall in diese höchst herrliche Gesellschaft brachte -
nicht an geistreichen, der Rede mächtigen
Mitgliedern fehlte, die, von der tiefen Ironie des Ganzen ergriffen,
ihre Rollen wacker durchführten. Ihr könnt mir's
glauben, dass mich nicht so leicht ein Scherz
so angeregt, ja so begeistert hat wie dieser.
Lothar: Gut, gut, vollster Beifall!
Nur - ich begreife nicht, wie es auf die Länge damit gehen konnte. Der beste Spaß stumpft sich ab, vollends wenn er so
dauernd und dabei doch wieder so systematisch getrieben wird, wie es in deiner Gesellschaft zum eierlegenden Hahn
wirklich geschah.
Ottmar: Keine Ahnung, wie das ausgegangen ist. Man
müsste mal wieder hin! Wollen wir?
Lothar: Gemach! Ihr habt von großen Klubs mit Gesetzen und fortwuchernden Mystifikationen erzählt, lasst mich des einfachsten Klubs
erwähnen, der wohl auf der Welt existiert haben mag.
Ottmar: Ja?
Theodor: Den kennst du?
Lothar: In einem kleinen polnischen Grenzstädtchen,
das ehemals von den Preußen in Besitz genommen, waren die einzigen deutschen
Offizianten ein alter invalider Hauptmann, als Posthalter angestellt,
und der Akziseeinnehmer. Beide kamen jeden Abend auf den Schlag fünf
Uhr in der einzigen Kneipe, die es an dem Orte gab, und zwar in einem Kämmerchen zusammen, das sonst niemand betreten
durfte. Gewöhnlich saß der Akziseeinnehmer
schon vor seinem Kruge Bier, die dampfende Pfeife im Munde, wenn der
Hauptmann eintrat. Der setzte sich mit den
Worten: ‚Wie geht's, Herr Gevatter?’ dem Einnehmer gegenüber an den Tisch,
zündete die schon gestopfte Pfeife an,
zog die Zeitungen aus der Tasche, fing an, emsig zu lesen, und schob die
gelesenen Blätter dem Einnehmer hin, der
ebenso emsig las. In tiefem Schweigen bliesen sich beide nun den dicken Tabaksdampf ins Gesicht, bis auf
den Glockenschlag acht Uhr der
Einnehmer aufstand, die Pfeife ausklopfte
und mit den Worten: ‚Ja, so geht's, Herr Gevatter !’ die Kneipe verließ.
Das nannten denn beide sehr ernsthaft: Unsere
Ressource.
Theodor: Sehr ergötzlich! Wer in diese Ressource als ehrenwertes Mitglied
recht hineingetaugt hätte, das ist unser Cyprian. Der hätte gewiss niemals die feierliche Stille unterbrochen durch unzeitiges Schwatzen.
Er scheint gleich den Kamaldulenser Mönchen das Gelübde des ewigen
Stillschweigens abgelegt zu haben, denn bis jetzt ist auch nicht ein einziges Wörtlein über seine Lippen gekommen.
Cyprian (seufzt, trinkt, lächelt milde): Ich will euch gern gestehen, dass ich heute durchaus nicht die
Erinnerung an ein seltsames Abenteuer loswerden kann, das ich vor mehreren Jahren erlebte.
Theodor: Aber zugehört hast du doch? Oder?
Cyprian: Nichts
ging an mir vorüber, was bis jetzt zur
Sprache kam. Ich kann Rechenschaft geben
darüber. Fürs erste: Theodor hat ganz
recht, dass wir alle kindischerweise
glaubten, da wieder anfangen zu können, wo wir vor zwölf Jahren stehen
blieben. Da dies nicht geschah, nicht geschehen konnte, schmollten wir
aufeinander. Ich behaupte aber, dass, trabten
wir wirklich gleich in demselben Gleise fort, nichts in der Welt uns mehr als
eingefleischte Philister kundgetan hätte. Mir fallen dabei jene
Philosophen ein - doch, das muss ich wohl
fein ordentlich erzählen! –
Ottmar: Oh, du wirst gesprächig?
Cyprian (eifrig): Denkt euch zwei Leute - ich
nenne sie Sebastian und Ptolomäus - denkt euch, dass
sie auf der Universität zu Königsberg mit dem größten Eifer die Kantische Philosophie studieren und sich beinahe täglich
in den heftigsten Disputationen über diesen, jenen Satz erlaben. Eben in einem solchen philosophischen Streit, eben in dem
Augenblick, als Sebastian einen kräftigen entscheidenden Schlag geführt
und Ptolomäus sich sammelt, ihn wacker zu erwidern, werden
sie unterbrochen, und der Zufall will es,
dass sie nicht mehr in Königsberg zusammentreffen.
Theodor: Wie das?
Cyprian: Weiß ich’s? Der eine geht hierhin, der andere dorthin. Beinahe
zwanzig Jahre sind vergangen, da sieht Ptolomäus in
Bamberg auf der Straße eine Figur vor sich herwandeln,
die er sogleich als seinen Freund Sebastian erkennt. Er stürzt ihm nach, klopft
ihm auf die Schulter, und als Sebastian sich umschaut, fängt Ptolomäus sogleich an: ‚Du behauptest also, dass’
- kurz, er führt den Schlag, zu dem er vor zwanzig Jahren ausholte!
Lothar: Großer Gott!
Cyprian: Tatsache! Sebastian lässt alle Minen
springen, die er in Königsberg angelegt
hatte. Beide disputieren zwei, drei Stunden
hindurch, straßauf straßab wandelnd. Beide geben sich ganz erhitzt das
Wort, den Professor selbst zum Schiedsrichter aufzufordern, nicht bedenkend,
dass sie in Bamberg sind, dass der alte Immanuel schon seit vielen Jahren im
Grabe ruht, trennen sich und finden sich nie mehr wieder.
Lothar: Na und?
Cyprian: Diese Geschichte, die das
Eigentümliche für sich hat, dass sie sich wirklich begeben, trägt für
mich wenigstens beinahe etwas Schauerliches
in sich. Ohne einiges Entsetzen kann ich nicht diesen tiefen
gespenstischen Philistrismus anschauen. Ergötzlicher
war mir unser alter Kommissionsrat, den ich auf meiner Herreise besuchte. Er empfing mich zwar recht herzlich,
indessen hatte sein Betragen etwas Ängstliches, Gedrücktes, das ich mir gar
nicht erklären konnte, bis er eines Tages
auf einem Spaziergange mich bat, ich möge doch um des Himmels willen
mich wieder pudern und einen grauen Hut aufsetzen, sonst könne er nicht an
seinen alten Cyprianus glauben. Und dabei wischte er
sich den Angstschweiß von der Stirne und
flehte mich an, seine Treuherzigkeit doch nur ja nicht übel zu nehmen!
Lothar: Also?
Cyprian: Wir wollen keine Philister sein! Wir wollen nicht darauf bestehen, jenen Faden, an dem
wir vor zwölf Jahren spannen, nun fortzuspinnen! Wir wollen uns nicht daran stoßen,
daß wir andere Röcke tragen und andere Hüte! Wir
wollen andere sein als damals und doch wieder dieselben, das ist nun
ausgemacht.
Lothar: Ausgemacht! (erhebt sein Glas)
Cyprian: Ja?
Theodor: Ausgemacht! (erhebt sein Glas)
Cyprian: Ja?
Ottmar: Ausgemacht! (erhebt sein Glas. Sie trinken betont langsam.
Indessen erscheint der Kellner stumm, stellt Sardellensalat auf den Tisch und
geht ab)
Theodor: Danke, Friedrich! Bedient euch!
Cyprian: Was Lothar ohne eigentlichen Anlass über das Unwesen der Klubs
und Ressourcen gesagt hat, mag richtig sein und beweisen, wie sehr der arme
Mensch geneigt ist, sich das letzte Restchen Freiheit zu verdammen und überall
ein künstlich Dach zu bauen, wo er noch allenfalls zum hellen heitern Himmel
hinaufschauen könnte. Aber was geht das uns
an? Auch ich gebe meine Stimme zu Ottmars Vorschlag, dass wir uns
wöchentlich an einem bestimmten Tage
zusammenfinden wollen. Ich denke, die Zeit hat dafür gesorgt, dass wir
keine Philister werden konnten.
Lothar: Beständig werde ich mich gegen Philistrismus auflehnen, beständig! Und damit wir aus dem ärgerlichen Hin- und Herreden
herauskommen, soll uns Cyprian das seltsame Abenteuer erzählen, das ihm heute
so in Sinn und Gedanken liegt.
Cyprian: Soll ich?
Lothar: Aber ja!
Ottmar: Lass hören!
Cyprian: Ich meine, dass uns immer mehr und mehr eine fröhliche
gemütliche Stimmung erfassen wird, zumal, wenn es Theodor gefällt, die geheimnisvolle Bowle, welche die feinsten
aromatischen Düfte verbreitet und aus der berühmten Gesellschaft des ‚eierlegenden Hahns’ herzustammen scheint, einmal wieder zu öffnen.
Theodor: Oh Gott, entschuldigt! Mein ‚Kardinal’! (schenkt
geflissentlich aus der Bowle in die leeren Gläser) Fahr fort, fahr fort!
Cyprian: Nichts in der Welt könnte dem frischen Aufkeimen alter Lust mehr hinderlich sein, als eben mein
Abenteuer, das ihr, so wie wir jetzt beisammen sind, fremdartig, uninteressant,
ja albern und fratzenhaft finden müsst.
Theodor: Merkt ihr wohl, dass unser
liebes Sonntagskind wieder allerlei bedenkliche Geister gesehen hat, die
zu erschauen nach seiner Weise er unsern
gänzlich irdischen Augen nicht zutraut!
Cyprian: Es trägt einen düstern Charakter, und ich
selbst spiele
darin eine hinlänglich schlechte Rolle, Ursache genug, davon zu schweigen!
Theodor: Heraus mit deinem Abenteuer! Und spielst du darin eine schlechte
Rolle, so verspreche ich dir sogleich, mich
auf eigne Abenteuer zu besinnen und dir aufzutischen, worin ich noch
viel alberner erscheine als du. Ich leide
daran gar keinen Mangel.
Cyprian: Mag sein, mag sein! (schaut
nachdenklich vor sich)
Lothar: Na?
Ottmar: Zier dich nicht!