Helmut Klemm schrieb in der „Mainpost“ vom 1.Februar 2002:
Eine
Dreiecksbeziehung als Talkshow
ESG-Theatergruppe
holt die Uraufführung "Lust mit Liebe" nach Würzburg
Würzburg:
Als der Autor auf die Bühne gebeten wurde, hagelte es Überraschungen. Da löste
sich kein junger Dramatiker, sondern ein älterer Herr aus dem studentischen
Publikum. Und dann stellte sich auch noch heraus, dass er extra aus Berlin zur
Uraufführung seines Stücks "Lust mit Liebe" in den Räumen der
Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Würzburg angereist war.
So viel
Exklusivität konnte die studentische Theatergruppe nicht voraussehen. Sie hatte
einen Stückepool im Internet durchsucht und ahnte nicht, dass sie an eine noch
jungfräuliche Spielvorlage und einen pensionierten Theaterwissenschaftler
geraten war, der sich hinter dem Pseudonym Heinrich Liehnen als Autor getarnt
hatte.
Die
eigentliche Überraschung des Abends war aber wohl, dass ein offenbar versierter
Theatermann ein moralisch so konventionelles Stück schreiben kann, und sich
junge Leute darauf einlassen, seine geradezu altväterliche Sicht auf die
Geschlechterbeziehung zu bekräftigen. Sie spielten mit Enthusiasmus und
richteten dabei gewissermaßen den moralischen Zeigefinger des Autors auf.
Diese
Haltung ist dem Stück eingeprägt. Es führt eine Dreiecksbeziehung vor, in der
sich ein junger Wissenschaftler reichlich bequem zwischen seiner Frau und
seiner Geliebten - eine seiner Studentinnen - eingerichtet hat. Von beiden wird
er gedrängt, sich zu entscheiden, aber er drückt sich. Am Schluss verlassen ihn
beide, und er steht alleine da.
Präsentiert
wird der Stoff als "Psychodrama". Das ist eine Therapie, bei der die
Beteiligten Szenen aus ihrer Beziehung nachspielen sollen. Diese theaternahe
Form hat der Autor in eine Talkshow transformiert, das dort angeschlagene Tempo
aber verfehlt. Die Mitwirkenden werden nicht ruck-zuck durchkomplimentiert
("Danke, dass Ihr meine Gäste gewesen ward!"), sondern nahezu ohne
Requisiten immer wieder aufeinander losgelassen - Laiendarsteller sind damit
leicht überfordert.
Zum
Teil müssen die jungen Leute auch älteste Weisheiten wie "Eher ein Sechser
im Lotto als eine Liebe, die ein Leben lang hält" von sich geben. Dabei
sind die Darsteller witziger, wenn sie frei sprechen.
Pat Christ schrieb in den „Fränkischen Nachrichten“ vom 4.Februar
2002:
Ein
Mann zwischen zwei Frauen
Theaterstück
in Anwesenheit des Autors in Würzburg uraufgeführt
Ist von
der Liebe die Rede, dauert es nicht lange, bis auch das Thema Treue zur Sprache
kommt. Kann der Mensch treu sein? Zwei anthropologische Grundannahmen stehen
sich gegenüber: Der Mensch als ein Wesen, das in der exklusiven Hinwendung zum
Du höchste Erfüllung findet oder der Mensch als genuin promiskuitives Geschöpf.
Wobei hinter derartigen Annahmen unausgesprochen meist der Mensch der
nördlichen Halbkugel assoziiert wird, und noch häufiger der Mann. Die Antwort
der meisten Gesellschaften dieser Erde ist bekannt: Der Mensch wird als monogames
Gesellschaftsmitglied gedacht und Ehebruch mehr oder weniger streng
sanktioniert, obwohl die tägliche Beobachtung auf das Gegenteil der
Treuemaximeschließen lässt und dem Mann nach wie vor zugestanden wird, sich
"die Hörner abzustoßen".
Um
einen Mann zwischen zwei Frauen geht es auch in dem Psychodrama "Lust mit
Liebe" von Heinrich Liehnen, das vom Ensemble des ESG-Theaters in der
Evangelischen Studentinnen- und Studentengemeinde (ESG) unter der Regie von
Manfred Plagens und Anke Brückner in Anwesenheit des Autors uraufgeführt wurde.
Frank steht zwischen seiner Ehefrau Anna und der Studentin Ellen. Eine ungute
Situation, die konsequenterweise eine Entscheidung fordert. Wo nun werden
Entscheidungen heute vorzugsweise herbeigeführt? Genau - in der Praxis der
Verhaltenstherapeuten. Zugleich finden Diskussionen um die Fürs und Widers
eines "abwegigen" Verhaltens in Talkshows statt, so dass es für
Herbert Liehnen ... nahe lag, beide Institutionen zu vermischen.
"Lust
mit Liebe" ist in einer psychodramatischen Fernsehtalkshow angesiedelt.
Der Showmaster, von Torsten Nübling als souveräner, vordergründig ausgesucht
höflicher Typ gespielt, dessen Suggestions- und Manipulationsstrategien im
Verlauf der Sitzung immer beklemmender werden, bemüht sich durch empathische
Fragen und Blickkontakt mit fast magischer Wirkung, die Verhältnisse
aufzudecken, in die Frank sich verstrickte. Mitunter lässt er die drei
Protagonisten der Show sich alleine auf der Bühne kappeln, während er im
Zuschauerraum verschwindet - und so das Ferngesteuertsein der TV-Kandidaten
vedeutlicht. Klar ist von Anfang an - die harmonische Dreiecksbeziehung, die
sich der karrierewillige Cordanzugträger Frank wünscht, ist und bleibt eine
Utopie, der "seine" Frauen nicht zur Verwirklichung verhelfen wollen.
Er sei
in einem "scheinbar unlösbaren persönlichen Problem" gefangen, so
wird Frank in das Psychodrama-Spiel eingeführt. Von echter Zerknirschung,
Verzweiflung gar ist bei dem jungen Wissenschaftler allerdings nicht viel zu
spüren. Matthias Götz' Frank legt Showgebaren an den Tag, lauter Brusttöne der
Überzeugung, ausgerufen mit einer Stimme voll Theatralik und das Pathos seiner
"O Gott!"-Ausrufe schier unüberbietbar - der da weiß, dass das, was
vermeintlich ach so intimen Charakter hat, vor laufenden Kameras geschieht. Um
den Plot voranzubringen, arbeitet die Regie mit ins Extreme gesteigerten
Formeln - um "absolute Ehrlichkeit" geht es nach Aussage des
Moderators, und doch triefen die Statements von Frank, aber auch die von Ellen
mitunter vor Scheinheiligkeit, Eitelkeit und Selbstsucht. Bei "Lust mit
Liebe" wird tüchtig schwarz-weiß-gemalt, und dass das auch so sein soll,
deutet das Bühnenbild richtig an.
Die
ungekünstelste, authentischste Figur ist Ulrike Metz' Ehefrau Anna, deren
zitronengelbe Hose signalisiert, dass sie, die einst unscheinbare
Raupenexistenz im Schatten des männerrollenbewussten Frank, zumindest auf dem
besten Weg zu einem möglicherweise schmetterlingshaften, jedoch
selbstbestimmten Dasein ist. Großartig Metz' Körperbeherrschung - die
verschränkten Arme, der zugekniffene Mund, der düstere Blick und die bedrohlich
wippenden Lackschuhspitzen strahlen konstant Beleidigtsein, Abwehr, bitteres
Enttäuschtsein, aber auch Rachegelüste und Aufbegehren aus.
Dieses
Gebaren wird selbst dann nicht durchbrochen, wenn sich Anna, um ihrer Rivalin
Platz zu machen, in die erste Publikumsreihe setzt, mit dem Rücken zu den
Zuschauern. Ist sie dann wieder auf der Bühne, kann sie tigerinnenhafte
Gefährlichkeit an den Tag legen - Blicke, die töten wollen, auf ihre
Konkurrentin abfeuernd. Und nichts wünschte man mehr, als dass sie ihr
revolutionäres Potenzial endlich gegen den Moderator zum Einsatz bringen würde.
Franks
größter Wunsch, mit beschwörerischen Gesten hervorgebracht, ist Verständnis
seiner Frau der Geliebten gegenüber. Das will die jedoch ebenso wenig
aufbringen wie die Geliebte, die schließlich mit signalroter Hose in die Show
einläuft. Der Moderator lässt Frank und Ellen ihren letzten Streit nachspielen,
was diese, wie alles andere Verlangte, willig tun. Kerstin Willuweits Ellen,
die gegenüber der vamphaften Anna verblasst, so dass Franks überwältigende
Leidenschaft zu ihr nicht wirklich nachvollziehbar wird, beklagt und bezichtigt
sich selbst, zwischen Frank und der armen Anna getreten zu sein. Was weder
glaubwürdig noch motiviert ist, bekundet sie doch ein paar Szenen später, dass
sie Anna durchaus nicht leiden kann.
Schließlich ist aber gerade dies die
Krux an dem fraglos unterhaltsamen Stück: das Aus-dem-Spiel-im-Spiel-Fallen. Am
drastischsten geschieht dies in der Schlusssequenz, die in die Zukunft hinein
projiziert ist. Eben noch beteuerten alle Beteiligten, um nichts in der Welt
eine Entscheidung herbeiführen zu wollen. In der aus der Zukunft ins Studio
herübergeholten Schlussszene entpuppt sich das entscheidungsfeige Setzen auf
den Status quo als Fehlkalkulation vor allem für Frank: Sowohl Ellen als auch
Anna entscheiden sich plötzlich gegen ihn. Und kaum verhohlen ragt der
moralische Zeigefinger des Autors auf und unterstreicht drohend die ungeflüsterten
Worte: Wer nicht hören will, muss fühlen.