Uraufführung am Landestheater Parchim

 

 

Gerhard Rehberg (Müller l.), Horst Dethloff (Penneberg r.), Doris Schwede (Helga)

 

 

 

Dazu Michael Hametner in Theater der Zeit, 6/1978:

 

 

»Die Brötchen stimmen — aber nicht die Kultur!«, sagt der Bezirk über die Leitungstätigkeit des Direktors vom Backwarenkombinat. Diese Kritik löst in Gerhard A. Eberts Schwank »Der wilde Mann«, kürzlich uraufgeführt im Landestheater Parchim, alles aus: Der kritikungewohnte Leiter — eben: die Brötchen stimmen! — spielt den wilden Mann, um seinem Bezirk zu beweisen, dass er — wie bestes Kümmelbrot zu backen — genauso gut in der Lage ist, die Höhen der Kultur zu erstürmen. Mit dem Aufziehen von Kampagnen hat er seine Erfahrungen. Bloß eine Idee, die alles Dagewesene in den Schatten stellt, die aufmerken lässt, im Bezirk und in der Hauptstadt, die fehlt noch. Dazu verhilft ihm sein Sohn, der gerade befreundet ist mit einer Indianerin, will heißen: mit einem jungen hübschen Mädchen, das seine Freizeit in einer Indianistikgruppe als Indianersquaw, »Strahlende Sonne« genannt, verbringt. Eine Indianistikgruppe im Backwarenkombinat, oh ja, das wäre eine außergewöhnliche Idee, mit der vor dem Bezirk Ehre zu machen wäre. Nur leider, die Freizeit-Indianer wollen sich nicht einfach für die Rettung der Ehre eines kulturlosen Kombinatsdirektors aufkaufen lassen. Sie verlangen seinen Beitritt als Probeindianer. Und sie verlangen noch mehr: vorschriftsmäßige Ausrüstung und Kenntnisse im indianischen Brauchtum.

Nun, die Sache zieht sich hin. Das Schwankhafte setzt ein, weil Backwarenkombinatsdirektor Paul Penneberg seine Wandlung zum Probeindianer aus Gründen des Ideenschutzes in aller Heimlichkeit geschehen lässt. Aber so ganz heimlich geht es in der Häuslichkeit seiner Drei-Zimmer-Wohnung nicht, und Frau und Schwiegermutter sehen den Hausvorstand abwechselnd indianische Kulthandlungen einstudieren und seinen Indianerputz ausprobieren. Das kann man freilich missverstehen. Zumal noch das hübsche junge Mädchen, »Strahlende Sonne«, als Kontaktperson zwischen Häuptling und Probeindianer im Spiel ist. Eifersuchtsszenen wechseln mit Übungen in indianischer Folklore.

Erst der Schluss bringt dann wieder eine Überraschung: Der Häuptling der Indianistikgruppe ist niemand anderes als der Kulturverantwortliche der BGL des Backwarenkombinats, der das ganze Spiel über die Kritik beim Bezirk nur ausgelöst hat, um Blick und Verständnis seines Kombinatsdirektors mal von Brot und Brötchen abzulenken auf die Kulturinteressen seiner Mitarbeiter. Das Backwarenkombinat ist also gar nicht kulturlos, sondern —welch glückliche Entdeckung — nur sein Direktor, und auch der ist nach 90 Schwankminuten gebessert, zumal er den Häuptling als Schwiegervater seines Sohns in die Familie bekommt.

Gerhard A. Ebert hat als promovierter Theaterwissenschaftler einen realistischen Blick für den Kulturalltag in unserem Land: Die Erziehung zu Kulturgewohnheiten beginnt und endet beim Beispiel, das die Leitungskader ihren Mitarbeitern geben. Ob Kultur als notwendiges Übel und fünftes Rad am Wagen gilt, darüber entscheidet nicht selten das Verhältnis, das der Leiter zur Kultur hat. »Da schuftet man den ganzen Tag und das soll immer noch nicht reichen ...?« — dieser Satz ist mir aus dem Munde der Hauptfigur in Erinnerung geblieben. Er drückt ein grundsätzliches Missverständnis der Wirtschaftspolitik in unserem Land aus. Nicht die Leistungen in der materiellen Produktion sind der Zweck aller Dinge, sondern die über sie mitproduzierten Lebensansprüche, Kulturansprüche, Bedürfnisse nach geistigem Reichtum und Reichtum der Gefühle. — So einfach die Wahrheit ist, so schwer setzt sie sich im selbstvergessenen täglichen Kampf um Plantreue durch.

Bei dem unbestreitbar großen Verdienst um Absicht und Grundeinfall seines Schwanks geriet dem Autor die dramatische Ausführung doch unter der Hand nur unvollkommen, ihr Witz war zuweilen billig. Da wird bilderweise auch nur hysterisch über den Popanz einer Geliebten im 19. Ehejahr hergezogen, geredet über Sinn und Unsinn von Schwiegermutters Zopf, während weder die Fabel von der Stelle kommt, noch geistreicher Wortwitz den Zuschauer schadlos hält. Da werden Mokassins als Mokajeans verwechselt, da heißt es beispielsweise: »Du hast es mit den Nerven, dann musst du mal zum Gynäkologen gehen!«

Dabei scheint mir vom Autor eine vielversprechende Möglichkeit für das Stück im Ansatz verschenkt. Ich denke an folgendes: Als Kombinatsdirektor Penneberg bemerkt, dass er die Kultur über Plankämpfen vergessen hat und dabei ist, seine vermeintliche Progressivität zu verlieren, beginnt er radikal und ohne natürliches Bedürfnis — eben unnatürlich! — diesen Irrtum zu korrigieren, womit er wieder am Eigentlichen vorbeigeht. Dieser plötzliche Sinneswandel (nicht der indianische Mummenschanz), für seine Umwelt unerklärlich, hätte Quelle des Heiteren in variierten Situationen sein können und wäre es zweifellos auch gewesen, wenn die Penneberg-Figur diese quantitative Kulturhäufung mit allem Ernst als so empfundenes Bedürfnis nach Kultur aus tiefster Brust gespielt hätte. Der Penneberg auf der Bühne lässt aber durchblicken, dass er Kulturbedürfnisse nur vortäuscht. Und weil das für 90 Minuten zu wenig ist, bleiben eine vermeintliche Geliebte ebenso wie Schwiegermutters Zopf nicht aus.

Horst Dethloff, Regisseur und Hauptdarsteller, bemühte sich, die Sache frisch und zügig ablaufen zu lassen. Das Tempo bekommt dem Schwank recht gut, nimmt aber Möglichkeiten, Brüche in den Figurenhaltungen (Penneberg, Sohn) zu zeigen. Der Regisseur scheint dem Genre Schwank zu wenig zuzutrauen. Sein Penneberg bleibt weitgehend unverbindlich-einschichtig. Von den Darstellern gefallen Gabriele Weigmann und Harald Selke, die mit Hintergründigkeit den Handlungsfaden auf Besserung des Vaters spinnen. Marietta Kranich als Schwiegermutter weiß ihre Rolle im rechten Maß zu chargieren.

Im ausverkauften und beinah auch bis auf den letzten Platz besetzten Haus gab es Beifall nach jedem der sechs Bilder. Aber das Parchimer Theater mag sich durch das häufigere Lachen in seinem Haus nicht verführt sehen, die Spielplanauswahl allzu einseitig zu treffen. Wer das musikalische Lustspiel »Frohes Wochenend«, den Krimi »Ein Inspektor kommt«, das Lustspiel »Arno Prinz von Wolkenstein«, die musikalischen »Liebhabereien«, die Komödie vom »Mann, der sich nicht traut« und den Schwank »Der wilde Mann« zugleich im Spielplan hat, sollte auch einmal eine andere Farbe des dramatischen Spektrums bieten, sonst wird er sich wohl auf längere Sicht keinen guten Dienst erweisen.

 

 

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